Gastbeitrag von Dr. Christine Kurmeyer von der Charité – Universitätsmedizin Berlin
Der RSGV ist stolz darauf, dass sein Cross Mentoring-Programm direkt im ersten Jahr von der Deutschen Gesellschaft für Mentoring in Berlin zertifiziert worden ist. Daher rührt der Kontakt zu Dr. Christine Kurmeyer, die im Rahmen ihres ehrenamtlichen Engagements als Vorsitzende des bundesweiten Forum Mentoring e.V. maßgeblich an der Entwicklung von Qualitäts-Standards von Mentoring-Programmen sowie als Gründungsmitglied an der Etablierung der Deutschen Gesellschaft für Mentoring beteiligt war und dort als Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats die Zertifizierung von Mentoring-Programmen leitet.
Vor einigen Wochen haben wir Frau Dr. Kurmeyer gefragt, ob sie sich einen Beitrag auf #sieistsparkasse vorstellen kann. Zu unserer großen Freude konnte sie dies. Nachfolgend finden Sie daher ihre interessanten Gedanken zum Förderung weiblicher Führungskräfte:
Die Corona-Pandemie hat eine Veränderung des Alltags mit sich gebracht, die sich vor einem Jahr noch niemand vorstellen konnte. Beinahe über Nacht wurden Abstands- und Hygiene-Regeln zum allumfassenden Thema, die Frage, wie wir in Zukunft miteinander umgehen können, überdeckt viele Bereiche des öffentlichen Lebens. Wie in einem Brennglas werden auch die Probleme in der Arbeitswelt verstärkt sichtbar: Frauen und ihre Kompetenzen ‚verschwinden‘ im Home office , sind dort auch vielfach noch mit dem home schooling der Kinder beschäftigt, während die männlichen Kollegen ihre Präsenz auch in Videokonferenzen noch verstärken können. Und dabei werden doch gerade in Krisenzeiten alle fähigen Köpfe dringend benötigt, um angemessene Lösungen zu finden. Eine gute Gelegenheit, um einen grundlegenden Kulturwandel in Erwägung zu ziehen. Wie können alle vorhandenen Potenziale und die vielfältigen Perspektiven auf das Leben integriert werden in bislang unhinterfragte Unternehmensstrategien und wirtschaftliche Ausrichtungen?
„Gerade in Krisenzeiten werden alle fähigen Köpfe benötigt – eine gute Gelegenheit, um grundlegenden Kulturwandel einzuläuten“
Diese Bemühungen sind ja nicht neu. Viele unterschiedliche Methoden und Instrumente wurden entwickelt, um neben der reinen Funktionalität am Arbeitsplatz den individuellen Wünschen und Hoffnungen der Beschäftigten Raum zu geben. Dabei ging und geht es nicht nur um Karriereförderung, sondern durchaus auch um das Transfermanagement informeller Wissensbestände. Seit mehr als 20 Jahren hat sich an dieser Stelle ein professionelles Mentoring bewährt. In vielen Unternehmen und Organisationen werden mittlerweile Überlegungen angestellt, insbesondere den Anteil von Frauen in Führungspositionen mit strukturierten Mentoring-Programmen systematisch zu erhöhen. Unter anderem auch, um einem drohenden Fachkräftemangel vorzubeugen.
Der Rheinische Sparkassen- und Giroverband ist diesbezüglich sehr gut vorbereitet. Mit dem Cross-Mentoring-Programm für weibliche Führungsnachwuchskräfte werden systematisch Potenziale und Talente gesucht, gefördert und damit ein professioneller Personalentwicklungszweig etabliert, der innovativen Leitungs-Konzepten Raum gibt und auch veränderten gesellschaftlichen Strukturen gerecht wird.
Denn nicht nur Corona hat die Gesellschaft verändert. Auch der demographische Wandel und der Generationenwechsel haben ihre Spuren hinterlassen. Junge Frauen und Männer haben heute ein anderes Bild von dem Leben, das sie führen möchten. Und das nicht nur innerhalb einer Organisation oder eines Unternehmens, sondern in allen Bereichen des öffentlichen und des privaten Lebens. Um auf diese veränderten Erwartungshaltungen vorbereitet zu sein, ist es essenziell, angemessen zu reagieren und sich in einem gut begleiteten Lernprozess auf zukünftige Verhältnisse vorzubereiten.
Mentoring ist dabei ein zauberhaftes Instrument! Denn es bewahrt nicht nur bewährte Verhaltensmuster, sondern ermöglicht auch, in einem geschützten Rahmen Neues auszuprobieren und individuelle Wege zu finden. In den persönlichen Gesprächen zwischen Mentee und Mentor beziehungsweise Mentorin lassen sich innovative Führungsstile auf den Prüfstand stellen, ebenso wie bestehende Strukturen. Dabei ist das für beide Seiten ein ganz offener Lernprozess, denn – und das ist die Voraussetzung – es besteht zwischen beiden kein direktes Abhängigkeitsverhältnis. Es kann also offen über Erfolge, vor allem aber auch über grandios gescheiterte Projekte diskutiert werden. Dabei können so genannte informelle Wissensbestände über innerbetriebliche Abläufe weitergegeben werden und gehen nicht mit der Verabschiedung in den Ruhestand verloren. Vor allem aber gibt es den weiblichen Nachwuchskräften die Chance, eine eigene Führungskultur zu entwickeln. Denn leider mangelt es häufig noch an präsenten Rollenvorbildern.
„Mentoring bietet die Chance, neugierig und offen die veränderten Lebensbedingungen zu begleiten“
Allein die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt Frauen heute auch immer noch vor andere Herausforderungen als die männlichen Kollegen. Und gleichzeitig werden Durchsetzungsfähigkeit und Selbstbewusstsein bei Frauen nach wie vor anders bewertet als bei Männern. Aber diese Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit können nur schwer in öffentlichen Seminaren oder Workshops tatsächlich nachhaltig bearbeitet werden. Denn die Bilder im Kopf vom Frau- oder Mannsein werden schon im Kindesalter etabliert und entziehen sich oft einer rein intellektuellen Revision. Dafür braucht es Vertrauen und der persönlichen Begegnung. Und eben dafür eignet sich das Mentoring ideal, professionell begleitet und angereichert mit entsprechenden Seminaren.
Wenn wir also aufbrechen wollen in eine Nach-Coronazeit, die nicht nur zurückkehrt zum Althergebrachten, sondern den veränderten Bedingungen des Lebens und des Zusammenlebens entgegengeht, sollten wir diese Chance ergreifen und neugierig und offen sein für die Möglichkeiten, die sich im Austausch der Generationen bieten.
Mehr zu Dr. Christine Kurmeyer:
Die promovierte Sozialpsychologin arbeitet seit vielen Jahren im Hochschulmanagement zum Thema Gleichstellung mit dem Fokus auf Frauen, Arbeit und Gesundheit. Von 2001 bis 2006 war sie Leiterin des Projekts „Mentoring in Wissenschaft und Wirtschaft“ an der Leibniz Universität Hannover. Anschließend zeichnete sie als Zentrale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte bis 2010 verantwortlich für das Mentoring-Programm der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Von 2011 bis 2012 leitete sie den Aufbau und die Etablierung des Dual Career Netzwerks Berlin und ist seit März 2013 wieder Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Charité. Hier hat sie mittlerweile im Rahmen eines Mentoring Competence Centers die verschiedenen Mentoring-Programme der Charité zusammengeführt. Der Titel ihrer veröffentlichten Dissertation lautet: ‚Mentoring – weibliche Professionalität im Aufbruch‘ (2012).